Fragen an den Autor:
Der Titel Ihres neuesten Romans lautet „Unpassend“. Warum dieser Titel?
Weil „Unpassend“ die Zeit der Anfänge der Täuferbewegung treffend bezeichnet: Die Ideen und die Umsetzung der Täufer passten nicht wirklich in die Zeit – auch die Reaktionen ihrer Gegner können aus heutiger Perspektive als unpassend bezeichnet werden.
Wie hätten ihre Gegner – in Ihrem Roman sind es der Zürcher Reformator Huldrych Zwingli und der habsburgische Erzherzog Ferdinand I. – passender auf die Täufer reagieren können?
Indem sie gelassener und weniger ehrgeizig reagiert hätten. Zwingli wie auch Erzherzog Ferdinand I. waren von der Richtigkeit ihres Handels so stark überzeugt, dass sie Gott auf ihrer Seite sahen und andere Ansichten infolgedessen als unchristlich und ketzerisch bezeichneten und mit allen Mitteln – bis hin zur Hinrichtung ihrer Gegner – bekämpften.
Georg Cajacob – auch genannt Blaurock – eine der Hauptpersonen im Roman wird als eigentlicher Gründer der Täuferbewegung beschrieben. Aber auch er war von seinen Glaubensansichten dermassen überzeugt, dass er es nicht scheute, den Pfarrer am Sonntag von der Kanzel zu drängen. Auch das sogenannte Täuferreich zu Münster, welches im Roman aus der Perspektive von Ferndinand I. beschrieben wird, zeugt nicht von Bescheidenheit der Täufer.
Das stimmt. Blaurock war ein sehr impulsiver Mensch, der es nicht scheute, Autoritäten herauszufordern und vor den Kopf zu stossen. Er erfuhr jedoch auch Läuterung und versuchte nach der langen Haft und Bannung aus Zürich, wo er knapp dem Todesurteil entging, weniger provokativ aufzutreten. Aber ein grosser Unterschied bleibt: Blaurock – wie auch die anderen Täufer verlangten nie, dass Falsch- oder Ungläubige umgebracht werden sollten. Im Gegenteil: Sie kritisierten, den Krieg gegen die Türken als Krieg zur Bewahrung der Christenheit zu bezeichnen. Denn unter wahrem Christsein verstanden die Täufer die Umsetzung der Prinzipien der Bergpredigt aus den Evangelien und die Bildung einer Gemeinschaft der freiwillig Gläubigen, wie die im Neuen Testament beschriebene erste Kirche. Stattdessen wurden Blaurock, Jakob Hutter und viele andere Täufer von ihren Gegnern umgebracht. Was Münster betrifft: Einerseits dauerte das sogenannte Täuferreich von Münster gerade mal rund 16 Monate, während dieser Zeit wurde die Stadt grösstenteils von ihren Gegnern belagert und zudem wurde es von apokalyptisch gesinnten Täufern umgesetzt, die von den im Roman beschriebenen Täufern vehement kritisiert wurden – bereits vor der Katastrophe von Münster.
Im Roman beschreiben Sie Leupold Scharnschlager, wie er als Leiter der Täufergemeinde in Strassburg aus der Stadt ausgewiesen wird und er als Reaktion darauf seinen „Aufruf zur Toleranz an den Rat von Strassburg“ verfasst. Ist dies historisch belegt oder ist dies Fiktion des Romanautors?
Der „Aufruf zur Toleranz “ ist historisch und kann z.B. in „Der linke Flügel der Reformation“, herausgeben von Heinold Fast, Bremen, 1962, nachgelesen werden. Scharnschlager war übrigens einer jener Täufer, die sich entschieden den apokalyptischen Ideen von Melchior Hoffmann entgegenstellten.
Wie historisch ist Ihr Roman insgesamt?
Fast alle Personen, die im Roman vorkommen, sind historisch belegt. Von den einen gibt es viele historische Belege, einige haben sogar Schriften hinterlassen, die uns heute noch zugänglich sind, andere tauchen nur in Listen von gesuchten Täufern auf. Von Blaurocks Frau Els zum Beispiel wissen wir historisch belegt nur sehr wenig. Auch von Blaurock selber sind nur sehr wenige Schriftstücke – zwei Lieder und vermutlich ein kurzer Brief – überliefert worden. Er taucht jedoch in etlichen Gerichts- und Verhörprotokollen und weiteren Dokumenten auf – und spielt eine wichtige Rolle im „Geschichtsbuch der hutterischen Brüder“, einer täuferischen Quelle aus dem 16./17. Jahrhundert, welche von aussertäuferischen Quellen vielfach bestätigt wurde.
Wie erklären Sie sich, dass von einer solch wichtigen Gründungs- und Führerfigur wie Blaurock, der an der Universität Leipzig studiert hat, fast keine eigenen schriftlichen Dokumente überliefert wurden?
Blaurock hiess ja ursprünglich Georg Cajacob und stammte aus Bonaduz in Graubünden. Cajacob ist eindeutig ein rätoromanischer Familienname. Damals wurde in vielen Teilen Graubündens – oder präziser im „Freistaat Drei Bünden“ wie dieses Gebiet ab September 1524 hiess – umgangssprachlich Rätoromanisch gesprochen. Deswegen ist davon auszugehen, dass Georg Cajacob rätoromanischer Muttersprache war. Deutsch war für ihn erste Fremdsprache, die er mündlich sehr gut beherrschte. Nur so ist sein grosser Erfolg bei den deutschsprachigen Menschen im Unterland, insbesondere im Raum Zürich, St. Gallen und Appenzell zu erklären. Als er gegen Ende seines Lebens in (Süd)tirol aktiv wurde, kann es gut sein, dass er in Rätoromanisch gepredigt hat. So beschreibe ich es im Roman. Denn damals wurde auch dort verbreitet Rätoromanisch gesprochen. Dort war er übrigens am erfolgreichsten. Es blieben ihm jedoch nur wenige Monate, bis er am 6. September 1529 auf dem Scheiterhaufen in Klausen im heutigen Südtirol verbrannt wurde. Die Spachwissenschaftlerin Ruth Bernardi geht davon aus, dass damals rätoromanisches Schriftum gezielt von den Behörden verhindert wurde, damit keine täuferische Volksbewegung unter den Rätoromanen entstehen konnte. 3 Zudem war die Verschriftlichung der rätoromanischen Sprache damals noch nicht stark fortgeschritten.
Ist Georg Cajacob eine Art verkappter rätoromanischsprachiger, bündnerischer Volksheld?
Ob Georg Cajacob ein Held war, kann jeder selber entscheiden. Tatsache ist, dass er ein aussergewöhnlicher (ehemaliger) Bündner Priester war, der eine äusserst wichtige Rolle in der Täuferbewegung spielte. Er war im Prinzip der eigentliche Gründer der Täuferbewegung mit seiner im Januar 1525 in Zürich empfangenen Glaubenstaufe als Erwachsener. Auch war er einer der Täufer, der dem Zürcher Reformator Huldrych Zwingli Paroli bieten konnte. Die Leute nannten Cajacob deshalb auch „zweiten Paulus“ und „starken Jörg“. Zwingli hasste ihn deswegen aufs Blut, konnte jedoch nie seinen Tod bewirken. Es war Ferdinand I., der Cajacob schliesslich hinrichten liess. In meinem Roman mache ich eine Verbindung zwischen der Gründung des „Freistaats Drei Bünden“ im September 1524 in Ilanz und Georg und seiner Frau Els: Der Roman beginnt mit der Gründung des Freistaats. Historisch ist diese Verbindung zwar nicht belegt. Es kann jedoch durchaus so gewesen sein, dass sich Georg Cajacob und Els zu diesem Zeitpunkt in Graubünden aufhielten. Die Geschichte von Georg und Hans von Marmels, dem Herrn von Rhäzüns, ist auch nicht historisch belegt, könnte aber stattgefunden haben. Im Dezember 1524/Januar 1525 tauchte Cajacob, historisch belegt, in Zürich auf.
Warum wird Georg Cajacob auch „Blaurock“ genannt?
Dass Georg Cajacob ab seiner ersten Täuferdisputation im Januar 1525 in Zürich auch „Blaurock“ genannt wurde, ist historisch belegt. An dieser Disputation trug er einen blauen Rock und hat die Zuschauer durch seine Intervention in der Disputation, obwohl er nur in den Zuschauerrängen sass, scheinbar stark beeindruckt.
Eine andere unglaubliche Geschichte ist die des Adeligen Leonard von Liechtenstein aus Nikolsburg in Mähren, in der heutigen tschechischen Republik, der laut Roman die Täufer beschützte und selber sogar Mitglied der Täuferbewegung wurde. Ist das historisch belegt oder Fiktion?
Doch, dieser Leonard von Liechtenstein gab es wirklich. Er liess in seiner Herrschaft Nikolsburg durch Dr. Balthasar Hubmaier eine täuferische Reformation erfolgreich durchführen und empfing – grosser Wahrscheinlichkeit nach – im Herbst 1526 von Hubmaier sogar selbst die Glaubenstaufe und wurde so als einer der ganz wenigen Adeligen Mitglied der Täuferbewegung.
Ist Leonard von Liechtenstein verwandt mit den heutigen Fürsten von und zu Liechtenstein im Fürstentum Liechtenstein zwischen der Schweiz und Österreich?
Ja, damals war die Herrschaft Nikolsburg das eigentliche Zentrum der Liechtensteiner. Die Liechtensteiner stammen ursprünglich aus der Region Wien und wurden 1608 in den erblichen Fürstenstand erhoben. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie die Herrschaft Nikolsburg bereits verkauft und ihr Zentrum in das benachbarte Feldsberg verlegt, welches bis 1945 im Besitz der Familie Liechtenstein war. Die Liechtensteiner hatten lange Zeit viel Besitzungen in Mähren, welche sie jedoch mit der Bildung der Tschechoslowakei und später verloren. Einen interessanten Überblick über die Besitztümer gibt diese Grafik des Historischen Lexikons des Fürstentums Liechtenstein. Am Ende des Romans finden Sie zudem eine Zeittafel, die vom Beginn der Habsburger und Liechtensteiner bis ins 21. Jahrhundert reicht und unter anderem die wichtigen Etappen der Geschichte der Liechtensteiner beschreibt.
Im Roman schreiben Sie, dass im Gebiet der Liechtensteiner die Täufer erstmals die Gütergemeinschaft eingeführt haben. Warum?
Es war die täuferische Gruppe der sogenannten „Stäbler“, die 1528 wegen Streitigkeiten mit anderen Täufern die Stadt Nikolsburg verliess und unterwegs aus Not die Gütergemeinschaft einführte, welche später zum eigentlichen Kennzeichen der hutterischen Täufer wurde. Hutterisch heissen diese, weil die Gruppe vom (Süd)tiroler Jakob Hutter stark geprägt wurde. Die Gruppe der hutterischen Täufer wurde in Mähren sehr gross: Es gibt Schätzungen, die sprechen von bis zu 30‘000 Hutterern, die sich in Mähren in zahlreichen sogenannten Haushaben organisiert haben. Auf einem Haushaben lebten mehrere Hundert Menschen in Gütergemeinschaft zusammen. Im grössten Haushaben Neumühl lebten und arbeiteten zeitweise bis zu 1‘000 Männer, Frauen und Kinder. Neumühl war das grösste Haushaben in Mähren und zugleich das Zentrum aller Haushaben – und es lag im Liechtensteiner Gebiet!
Gibt es noch heute Hutterer und haben sie noch Beziehungen zu den Liechtensteinern?
Hutterische Haushaben gibt es noch heute, vor allem in Nordamerika. Dorthin sind sie im 19. Jahrhundert ausgewandert, weil ihre Lebensweise in Europa – zuerst in Mähren, dann in Siebenbürgern, in der Ukraine und in Russland zunehmend auf Ablehnung stiess. Ende der 1920er Jahre schloss sich eine christliche Gruppe in Deutschland, die auch Gütergemeinschaft praktizierte – die sogenannten Bruderhöfer um den Theologen und Publizisten Eberhard Arnold – mit den Hutterern zusammen. Als sie Probleme mit den Nationalsozialisten bekamen, wanderten sie für einige Jahre ins Fürstentum Liechtenstein aus. Dort bildeten sie von 1934 bis 1938 die grösste Flüchtlingsgruppe. Sie lebten im ehemaligen Kurhaus Silum auf rund 1‘600 m.ü.M. Nach dem Anschluss Österreichs ans nationalsozialistische Deutschland verliessen sie Liechtenstein und siedelten nach England und später nach Amerika über. Das Hitler-Regime war übrigens auch der Grund, warum die Fürstenfamilie von und zu Liechtenstein ihren festen Wohnsitz nach Vaduz verlegte. Bis dahin hatten sie vor allem in Österreich gelebt und waren im Fürstentum Liechtenstein nur selten anzutreffen gewesen. Zum Verhältnis der Liechtensteiner zur Täuferbewegung werde ich schon bald einen längeren Fachartikel publizieren.
Vielen Dank für das Gespräch.
- Hans Bocksberger der Ältere, Public domain, via Wikimedia Commons ↩︎
- Erhard Schön, Public domain, via Wikimedia Commons ↩︎
- siehe: Rätoromanische Übergänge in der Literatur, in: Annalas da la Societad Retorumantscha 129 (2016), S. 153-177 ↩︎
- Unknown painter, upload by Adrian Michael, CC BY-SA 3.0 http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/, via Wikimedia Commons ↩︎
- Sprecher/Clüver, upload by Adrian Michael, Public domain, via Wikimedia Commons ↩︎
- Heinrich Thomann, Public domain, via Wikimedia Commons ↩︎
- Unidentified painter, Public domain, via Wikimedia Commons ↩︎